Die Glöckner von Sankt Martin


Kinder des Ev. Kindergarten „Sankt Martin“ beleben heilsame Tradition.

Foto: KG Cottbus-Süd

Früher läuteten sie jeden Tag, die Glocken der Martinskirche in Madlow. Morgens, mittags und abends zeigten sie den Menschen wochentags, was die Uhr geschlagen hat: Zeit zum Aufbruch in den Tag, zum Innehalten in der Mitte, zum Auspendeln und Ausruhen nach getaner Arbeit. Die Tradition ging verloren, weil sich niemand mehr fand, der jeden Tag dreimal das Glockenseil schwang. Außerdem hatte jeder seine eigene Uhr und ließ sich davon den Rhythmus seines Lebens diktieren.

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Das Leben wird immer hektischer, stöhnen viele. Die Zeit rast nur so dahin, sagen sie. Deswegen machen die Krankenkassen in ihren Mitgliederjournalen regelmäßig darauf aufmerksam: Wer sich feste Zeiten zum Abschalten angewöhnt, lebt gesünder und arbeitet besser. In der Kirche rufen seit alters her die Glocken in der Woche morgens, mittags und abends zum Gebet. Die Glocken zeigen nicht nur die Zeit an, sie lösen uns einen Moment aus dem heraus, was gerade unseren Alltag füllt. Die Glocken schenken allen, die auf sie hören, einen Augenblick der Besinnung: Was trägt mein Leben? Worauf kommt es an? Was ist zweitrangig?

Foto: KG Cottbus-Süd

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Die Kinder des Ev. Kindergarten „Sankt Martin“ werden ab Anfang Mai wochentags jeden Mittag im Kirchturm der Martinskirche am Glockenseil ziehen. Beim ersten Glockenschlag lassen alle im Kindergarten das ruhen, was sie gerade tun. Sie falten die Hände und beten: „Wo ich gehe, wo ich stehe, bist du, lieber Gott, bei mir. Wenn ich dich auch niemals sehe, weiß ich immer: du bist hier. Amen.“ Alle, die die Glocken mittags hören, sind herzlich eingeladen, auch innezuhalten, sich an Gott zu wenden oder einfach nur still zu sein. Sie werden merken: Nicht das, was ich leiste, trägt mein Leben. Ich atme, auch wenn ich nichts tue. Ich muss mich von nichts und niemand treiben lassen. Ich bekomme mein Leben geschenkt. Diesen heilsamen Moment wollen die Kinder des Ev. Kindergarten „Sankt Martin“ mit allen teilen, die sich von den Glocken unterbrechen lassen. Und sie läuten die Glocken mit Begeisterung.

Ulrike Menzel – Pfarrerin für Missionarische Dienste und Gemeindeaufbau in der Lausitz